Der erste Tag (Klettergebiet „La Draye“) lief ab wie geplant – allerdings waren die Felsen schwieriger als gedacht. Manche Teilnehmer verschoben den Vorstieg auf den darauffolgenden Tag, um sich erst mal an die Felsart zu gewöhnen: Granit bedeutete hier: konvex gewölbte Felsplatten, auf die man mit viel Reibung, einem Tritt im richtigen Winkel und wenig Griffen Halt finden muss – was auch funktioniert, wenn man schließlich Zutrauen in die Sache gefasst hat. Auch die Seilschaft in der Mehrseillängen-Tour schaffte ihr Pensum nicht ganz, plante aber, ihr Projekt an einem anderen Tag weiterzuverfolgen. Einige Gebietserfahrene starteten allerdings gleich erfolgreich durch, und für alle war der erste Tag ein fröhlicher Einstieg.
Am zweiten Tag bildeten sich mehrere Gruppen: die Kerntruppe um Bernhard und Petra fuhr zu einem anderen Granit-Felsen („Balcons d’Ailefroide“), an dem die Sportkletterrouten von rechts nach links im Schwierigkeitsgrad anstiegen – der Plan war, sich dort im Vorstieg vorzuarbeiten – der Plan ging auf! Während die einen hier weiterkletterten, ging es nachmittags für drei von uns ein paar Meter felsabwärts zu einer kürzeren Mehrseillänge, die morgens von einer weiteren Seilschaft aus unseren Reihen schon eingeklettert worden war:
Chaud Biz (Schwierigkeit 6a+; 5b obligatoire, 180m). Diese hatte es allerdings klettertechnisch, bedingt durch ein paar kantige Aufschwünge, schon in sich! Die wunderschöne und abwechslungsreiche Route belohnte schließlich auch noch mit einem herrlichen Abstieg – im oberen Teil seit neustem seilversichert. Zwei Zweier-Seilschaften kletterten unterdessen die Mehrseillängen „Sueur de Boucs“ (Fels Palavar, Ausrichtung Südost, 9 Seillängen; Schwierigkeit 5b-5c), und zwei weitere Seilschaften waren auf der 12- Seillängen-Tour „Palavar-les-Flots“ (400 m, Schwierigkeit 4a–5b) unterwegs.
Am dritten Tag war es Zeit, eine andere Felsart auszuprobieren. Mit „Casse de Prelles" – fühlten wir uns ein wenig wie in den Kirner Dolomiten, nur in weiß, höher und – ausgesetzter! Der helle, cremefarbene Quarzit in Frankreich war sehr angenehm zu klettern. Rechtwinklig „gewachsene“ Felsklötze, griffig und stufig. Auf einer Brücke, die ein zwischen zwei Felsnadeln gefallener Felsklotz bildete, posierten wir der Reihe nach fürs Fotoshooting. Den ganzen Tag kletterten wir eine Sportkletterroute nach der anderen – in unmittelbarer Nachbarschaft zu einer 30-köpfigen Truppe der französischen Fremdenlegion, die das Abseilen übte.
Es war sehr heiß – eine dreier-Gruppe zog es vor, im Bade zu planschen.
Der vierte Tag war für viele dann der Ruhetag – bestehend aus Klettersteig (Via ferrata des gorges d’Ailefroide) und/oder Stadtbesuch in Briançon, der malerischen Vauban-Festungsstadt. Für zwei von uns aber war der Ruhetag nach eigener Aussage der anstrengendste Tag – Klettersteig plus 1000 Höhenmeter Bergwanderung zur „Refuge du Pelvoux“ hoch und wieder hinunter – zollten ihren Tribut.
Am fünften Tag stiegen zwei weitere Seilschaften in die „Palavar-les-Flots“ ein. Für diejenigen unter uns, die eine solch lange Mehrseillängentour noch nicht oder noch nicht oft unternommen hatten, war es ein aufregendes Unterfangen. Leider machte eine etwas langsame Seilschaft vor uns unseren Schnitt saftig zunichte.
Das Wetter sonnig, wolkig, mit kräftigen Windböen durchsetzt, die so wirkten, als wollten sie uns vom Fels pusten. Je höher man kam, umso geringer wurden scheinbar die Hakenabstände, umso leichter aber auch das Gelände. Mehr Bohrhaken wären aber auch nicht praktikabel gewesen:
der Seilzug war ohnehin schon extrem. Das Warten an den Ständen ließ uns eine Menge Zeit, die wunderschöne Hochgebirgs-Landschaft ausgiebig zu genießen. Die Abseilpiste der Granitfelsen – fast senkrecht, glatt und schnell – genossen wir schließlich in der Dämmerung: mit unseren 4 Halbseilen seilten wir im Wechsel mit zwei Seilschaften gemeinsam ab. Zurück in der Ferienwohnung wurden wir trotz fortgeschrittener Uhrzeit liebevoll mit frischem Couscous bekocht. Am sechsten und leider schon Abschluss-Tag sportkletterten wir noch einmal alle gemeinsam, und zwar im „Vallée du Fournel", bei Argentière-la-Bessée. Der verwunschene Zustiegspfad schlängelte sich an einem Bach entlang, der Wandfuß lag an diesem ebenfalls sehr heißen Tag angenehm im Schatten. Ambitionierte stiegen um die Mittagszeit noch eine Etage höher in die Sonne. An diesem letzten Tag schmeckte der „Diabolo menthe“ (alkoholfreier Pfefferminz-Sirup mit Sprudel und Eis) in Valouise besonders gut. An den Abenden kochten wir gemeinsam. Alle halfen mit, es musste nichts groß geplant werden. Zweimal gönnten wir uns ein Essen im Restaurant in Valouise – zu Fuß erreichbar.
Alles in Allem eine rundum genussvolle Kletterwoche!
Die Songs aus der gemeinsamen Urlaubs-Playlist begleiten uns bis zum nächsten Kletterurlaub...
Bärbel Richter
Kleines Kletter-Lexikon für Frankreichliebhaber:
- approche = Zustieg
- la paroi = die Fels-/Bergwand
- rappel = Abseilstelle
- descendre en rappel = abseilen
- facette = Ausrichtung (Himmelsrichtung)
- grimper en tête = im Vorstieg klettern
- ravin = Schlucht
- via ferrata = Klettersteig
- dalles = Platten
- Attention, corde! = Achtung, Seil!
- les voies = die Routen
- les falaises = die Felsen
- le maillon rapide = Schraubglied
- les chaines = Ketten
- le relais = Umlenkung/Routenende
- le grimpeur, escaladeur = Kletterer
- mousqueton à vis = Schraubkarabiner
- la dégaine = Expresse
- l’équipement = Ausstattung der Route (mit Bohrhaken)
- voie équipée = Route mit Bohrhaken
- voie non équipée = Route, die mobil abzusichern ist